20. Februar

Ein TV-Film über deutsche Rückkehrer aus Afghanistan; der Eigenwille, die Offenheit, die Direktheit, die Unkorrektheit, die Langeweile, die Brutalität, die Geilheit, die Einsamkeit des heimgekehrten Soldaten – all diese Verhaltensweisen, die hierzulande von Gesellschaft und Familie, zum Teil auch vom Gesetz als Normbrüche beanstandet werden, sind auf authentische Weise menschlich. Alles Angelernte, Angepasste, Selbstverständliche, Ritualisierte, Tabuisierte bricht hier weg. Der Kriegsrückkehrer findet sich wieder in der ihm vertrauten Heimat, die er nun aber als verkehrte Welt wahrnimmt … als eine zur Perfektion verfremdete feindliche Alltagswelt, deren Spielregeln er nicht mehr beherrscht und auch nicht befolgen will. Und wenn nun im Supermarkt ein verwöhntes Kleinkind an seiner Mutter herumquengelt, um noch ein Schokoladenherz und noch ein Gummibärchen zu kriegen, empfindet er das als persönliche Beleidigung, verliert das Gefühl und das Verständnis für die hiesige kleinkarierte Normalität, flippt denn auch prompt aus, reißt das ganze Süßwarenregal zu Boden und trampelt brüllend darauf herum. Aus seiner Sicht … nach seinen Erfahrungen im Krieg und im Vergleich mit den Bildern, die er aus dem Krieg in Erinnerung hat, ist das rituelle Quengeln um eine durchaus entbehrliche Süßigkeit mehr als ein Ärgernis; es ist eine Frechheit, wenn nicht ein Horror, auf den er spontan reagiert, was ihm den ebenfalls verständlichen Verdacht einbringt, verrückt oder kriminell zu sein. Als normalisierter und uniformierter Krimineller oder Verrückter hat derselbe Mann den absurden Krieg im afghanischen Norden absolviert, dessen Horror er als alltägliche Realität begreifen und bestehen musste. – Das Wort »in all seinen Bedeutungen« zur Geltung zu bringen, hat sich Francis Ponge zur dichterischen Aufgabe gemacht. Das dichterische Wort ist für ihn das dichtere Wort, das semantisch vielfältig geschichtete und assoziativ – über Klangähnlichkeiten – zusätzlich aufgeladene Wort. Jedes alltagssprachliche Wort, jede automatisierte Wortwendung kann sich zu dichterischer Rede verdichten, wenn gleichermaßen auf seine Vor- und Nebenbedeutungen wie auf seine Assonanzen geachtet wird. Ein simples poetologisches Programm, das zu staunenswerten Entdeckungen und Ausfaltungen führen kann. Wenn ich hier – oben – die Begriffe »dichterisch« und »dicht« beziehungsweise »dichter« nebeneinander stelle, assoziiere ich die Dichtung auf der Bedeutungs- wie auf der Klangebene mit Verdichtung und stelle den »Versdichter« als »Verdichter«, das Dichten als Diktat heraus. Wenn ich außerdem die Schriftebene einbeziehe, können zusätzlich anagrammatische Verdichtungen entstehen – beispielsweise zu dichterisch > »Richtertisch«, »scher dich!«, »strich er sie?«, »richte es dir!« usf. Greife ich statt dessen, um hier noch ein Beispiel anzuführen, auf das gängige Umstands- und Eigenschaftswort »ungefähr« zurück, bieten sich zur Verdichtung wiederum diverse Möglichkeiten an. Ich kann »ungefähr« lautlich und buchstäblich mit Gefährdung assoziieren, kann das Wort auch mit Gefährt oder ungern oder Regung zusammendenken und es auf diese Weise sowohl bedeutungsmäßig verdichten als auch klanglich entfalten. Indem Francis Ponge dieses Verfahren – eine Art semantischer Archäologie in Verbindung mit lautlichen Assoziationen – zum beherrschenden Prinzip seiner Dichtung (»nicht gud!?«) macht und es unentwegt an immer wieder neuen, teils auch selbst geschaffenen Wörtern erprobt, verlegt er deren Grundimpuls in die Sprache, auf die er somit vertrauensvoll die Autorität dichterischer Rede überträgt. – Ich stehe seit zwei, drei Tagen wieder auf festerem Fuß, kann aber noch immer nicht ohne Stock durch meine Wohnung tanzen, schon gar nicht in den stetig nachfallenden Schnee mich hinauswagen. Bin gleichwohl, wenn auch mit verminderter Energie, in meiner Prosa zugange, stelle fest, wie schwierig – im Vergleich mit Lyrik – das Erzählen ist, wie einengend allein schon die Wahl der Erzählperspektive, der Erzählzeit usf. Aber ich muss da nun durch – seit ›Ewiges Leben‹, meinem letzten Prosaversuch, sind ja viele Jahre vergangen – muss die narrative Schreibbewegung wie auch die Umsicht und Geistesgegenwart, die es dazu braucht, erst wieder einüben.

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